Dienstag, 19. Juni 2018

Die Säuberung

Etwa zehn Minuten später saßen wir zu dritt in Ulis Auto und fuhren in Richtung meiner Wohnung. Als wir am Haus eintrafen, war bis auf das Licht am Eingangsbereich alles dunkel. Meine Vermieter scheinen schon zu schlafen, stellte ich erleichtert fest. Eine Sorge weniger! Sie mussten ja nicht unbedingt etwas von der Geisteraustreibung mitbekommen.
  Auf der Fahrt hatten die Beiden mir kurz erklärt, wer sie eigentlich waren und was sie zu tun beabsichtigten. "Wir sind Missionare von Jugend mit einer Mission werden den Geistern im Namen Jesu gebieten, deine Wohnung für immer zu verlassen. Laut Bibel haben wir als Jünger Jesu die Vollmacht dazu", erklärte Mike.
   Ein bisschen mulmig war mir bei der Sache schon, aber Mike und Uli schienen sich ihrer Sache recht sicher zu sein: "Mach dir keine Sorgen! Es wird schon alles gut gehen. Da wir im Namen Jesu handeln, können uns die Geister nichts anhaben!"


Leise schlichen wir an der Wohnung meiner Vermieter vorbei und gingen die Treppe hinauf zu meiner Wohnung im ersten Stock. "Wohnt hier noch jemand im Haus?" fragte Uli und wies auf die weiter nach oben führende Treppe. Ich schüttelte den Kopf. "Es gibt noch eine kleine Mansardenwohnung, aber die ist zur Zeit nicht vermietet." Ich schloss die Wohnungstüre auf und wir traten ein. 
    Erleichtert stellte ich fest, dass alles wie gewohnt an seinem Platze war. Es hatte sich also während meiner Abwesenheit kein weiterer Geisterspuk ereignet. "Gut", sagte Mike zu Uli, "dann lass uns beginnen!" Uli nickte kurz und  beide begannen leise betend in der Wohnung umherzugehen.
     Nach etwa ein er Minute begannen sie dann lauter in den Raum hinein zu sprechen: "Im Namen befehlen wir jedem fremden Geist die Räumlichkeiten und das Haus augenblicklich zu verlassen. Weichet im Name Jesu!" Dieser Befehl wurde mehrfach und nun doch in einer Lautstärke wiederholt, der mich leicht beunruhigt an meine Vermieter denken ließ. Ach, egal! dachte ich, wenn sie davon wach werden, kann ich es auch nicht ändern.                           
    "Wir erklären euch im Namen Jesu, dass ihr jegliches Anrecht auf Heiner verloren habt", hörte ich Uli sagen. Er hielt sich gerade in der Nähe des Küchentisches auf, wo ich zumeist meine spiritistischen Sitzungen abgehalten hatte. "Er ist jetzt ein Kind Gottes!  Im Namen Jesu verbieten wir euch jede weiteren zukünftigen Aufenthalt in dieser Wohnung!", fügte Mike hinzu.   
     Dann beteten beide wieder leise, bis Mike plötzlich sagte: "Ich glaube, es reicht! Die Wohnung ist jetzt wieder frei von Geistern!"
 
Nach einem kurzen gemeinsamen Dankgebet fragte Mike mich plötzlich: "Sag mal, Heiner, was ist eigentlich mit den die Sachen, mit denen du den Spiritismus betrieben hast? Könnten wir die mal sehen?"  Ich holte das kleine Tischchen und die beschriebenen Papierbögen aus meinem Schrank hervor, und platzierte alles auf dem Wohnzimmertisch. Uli staunte nicht schlecht: "So viel haben die geschrieben. Jesus!"
    "Du hattest doch auch von esoterischen Büchern gesprochen“, forschte Mike nach. „Ah ja,“ sagte ich und befand mich schon wieder auf dem Weg zu meinem Schrank. Wenig später lagen auch diese Bücher auf dem Tisch. "Weißt du was", sagte Mike, " der ganze Kram sollte hier aus der Wohnung verschwinden. Wenn du einverstanden bist, nehmen wir alles mit und entsorgen es." Ich nickte und holte zwei große Müllsäcke.

Ein neues Nachtquartier

Als wenig später alles in zwei blauen Müllsäcken verstaut war, drängte Uli zum Aufbruch: " Es ist schon spät und wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns! Wir fahren jetzt zum Goethegymnasium. Da ist unser Nachtquartier während des Kirchentages. Also, Heiner, mach es gut. Es war nett, dich kennen gelernt zu haben!"  
     Ich schaute ihn erschrocken an und sagte dann spontan: „Ich kann heute Nacht nicht hier in der Wohnung übernachten!“                                        
     Beide schauten mich überrascht an. „Aber die Geister sind doch fort!“ meinte Mike. „Du brauchst keine Angst mehr zu haben.“ „Trotzdem,“ beharrte ich, „ich kann heute Nacht nicht hier bleiben. Kann ich nicht bei euch im Goethegymnasium übernachten?" Beide schauten sich kurz an, dann meinte Mike: „Hast du einen Schlafsack und eine Isomatte?“ Ich nickte und er sagte: „Gut, einverstanden! Aber beeil dich, wir wollen los!" Ich war erleichtert und begann meine Sachen zu packen.

Wenig später saßen wir wieder im Wagen und fuhren Richtung Innenstadt, mit einem Schlafsack, einer Isomatte, einer kleinen Sporttasche und zwei blauen Müllsäcken im Kofferraum.
Als wir etwa gegen 1 Uhr im Goethegymnasium ankamen, war es still und dunkel im Schulgebäude. "Du schläfst am besten bei uns im Leiterzimmer", meinte Mike.      

     Ich schaute ihn erstaunt an: "Im Leiterzimmer?" "Ja", entgegnete er, "Uli und ich gehören zum Leitungsteam von Jugend mit einer Mission. Die Jugendlichen schlafen dort drüben in der Turnhalle." Er wies mit der Hand auf ein etwas entfernt stehendes Gebäude. "Ach so," sagte ich. "Nein, ich würde schon gerne in eurer Nähe bleiben!" 
     Im zweiten Stockwerk am Ende eines Ganges stoppten die Beiden plötzlich und vor einer eine Türe. "So, jetzt ganz leise. Die Anderen schlafen bestimmt schon alle. Such dir einen freien Platz und leg dich dann dorthin", sagte Uli. Dann öffnete er die Türe und wir schlichen in den Raum hinein.

Im Mondlicht konnte man verschiedene Einzelheiten gut erkennen. Über den ganzen Raum verteilt lagen Menschen in Schlafsäcken. Hier und da vernahm man ruhiges, tiefes Atmen. Jemand drehte sich auf die andere Seite. Ich platzierte mich mit Schlafsack und Isomatte fast genau in der Mitte des Raumes. Gerade als ich in meinen Schlafsack schlüpfen wollte, sah ich ganz in meiner Nähe einen Mann halb aufgerichtet in seinem Schlafsack sitzen. Er starrte mich leicht irritiert an.
    "Hallo", grüßte ich leise hinüber." Ich bin mit Mike und Uli gekommen". Er schien einen Moment nachzudenken, dann sagte er: " Welcome! Have a nice sleep!" und verschwand wieder in seinem Schlafsack.                                                                    
Erst jetzt merkte ich, dass ich kein Kopfkissen mitgenommen hatte. Ich nahm die T-shirts und ein Handtuch aus meiner Sporttasche heraus und bastelte mir  ein provisorisches Kopfkissen. Das war nicht optimal, aber besser als gar nichts. Endlich hinlegen! dachte ich erschöpft. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann war ich eingeschlafen.

Zwei beängstigende Erlebnisse

Plötzlich, mitten in der Nacht, wachte ich auf und war mit einem Schlage hellwach. In der Magengegend verspürte ich ein mulmiges Gefühl. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Vorsichtig schaute ich mich im Klassenraum um. Nichts hatte sich verändert. 
    Alles war noch wie beim Einschlafen, lediglich der Mond war etwas weitergewandert. Er schien jetzt nur noch in die vordere Hälfte des Raumes. Gerade als ich mich wieder in meinen Schlafsack einrollen wollte, vernahm ich plötzlich eine leise Stimme in meinem Ohr: Steh auf! Die Stimme war nicht akustischer Natur, aber trotzdem klar vernehmbar gewesen.                                              
 Irritiert kroch ich aus meinem Schlafsack und stand nun mitten im Raum. Geh auf die Toilette! vernahm ich erneut die Stimme in meinem Ohr. Und so ging ich leise hinaus auf den Gang und versuchte mich erst einmal zu orientieren. Auf die Toilette! Aber wo war die? Ich entschied mich für den kurzen Gang direkt vor mir. Und tatsächlich, als ich um die Ecke bog, sah ich dann zwei Toilettentüren. Ich öffnete die mit der Aufschrift „Jungen“.                                 
     Es war ein übliche Schultoilette und außer mir niemand schien anwesend zu sein. Ich begann mich schon zu fragen, was ich hier jetzt sollte,  als ich die Stimme  sagen hörte: Dreh dich um! Gehorsam drehte ich mich langsam um und schaute auf die direkt vor mir stehende Wand. 
    Es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Fassungslos starrte ich die Wand an. In Augenhöhe stand mit dickem, schwarzem Filzstift geschrieben: Willi grüßt dich!                                    
    So viele Mal hatte ich diesen Satz in den zurückliegenden Wochen gelesen. Fast jedes Mal zu Beginn oder am Ende einer Sitzung mit meinen „Verwandten“. Ich rang eine aufkommende Panik nieder, verließ ruhigen Schrittes die Toilette und ging wieder zurück in das Schulzimmer. Was soll ich jetzt tun? fuhr es mir durch den Kopf.
    
 Ich lag mit im Nacken verschränkten  Armen in meinem Schlafsack  und versuchte nachzudenken. Wie war die Schrift an die Wand gekommen?  Ist das nur der zufällige Klospruch eines Schülers, den die Geister jetzt benutzt haben? Oder haben sie es selber dort dran geschrieben? 
   Mein leerer Blick war schon eine Weile auf die mondbeschienene Wand mit der großen Schultafel gerichtet gewesen.. Auf einmal begann ich sie genauer zu betrachten. Bevor ich sie plötzlich mit Entsetzen anstarrte. War das möglich? Oder litt ich vielleicht schon an Wahnvorstellungen?
    Dort vorne an der Wand waren die Schatten von Fensterbalken abgebildet und das Wort  tot war deutlich zu lesen.      
    Ich spürte Grauen in mir aufsteigen  und sprang aus meinem Schlafsack. Dann ging ich hinüber zu Mike und weckte ihn.

Ein helfendes Gebet

Mike kannte ja halbwegs meine Vorgeschichte und so brauchte ich nicht viel zu erklären. Ich zeigte ihm erst das Wort tot an der Wand und führte ich ihn dann in der Toilette.   
    Dort zeigte ich ihm das Willi grüßt dich und erklärte ihm in kurzen Worten den Zusammenhang. Als ich fertig war, nickte er kurz und sagte dann: "Komm, lass uns beten!                
    So stellten wir uns auf dem Gang in eine Fensterecke und Mike begann zu beten: "Herr Jesus, wir verstehen nicht, was hier genau vor sich geht. Und wir müssen das auch nicht wissen! Wir möchten dich aber bitten, dass du diesen Vorgängen ein Ende bereitest. Schenke bitte Heiner einen guten ungestörten Schlaf. Amen!" "Amen!" schloss ich mich an.                                            
     Zurück im Klassenzimmer sagte ich zu Mike: „Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen."  „Schon gut," meinte er, "das war richtig! Und nun leg dich hin. Du wirst jetzt gut schlafen können."

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich gut ausgeschlafen. Die meisten waren schon aufgestanden und immer wieder verschwanden einige mit Handtuch und Kulturbeutel  in Richtung des Wasch- und Duschraumes. 
   Mike kam, schon komplett angezogen, zu mir herüber. "Guten Morgen, Heiner!  Na, wie hast du geschlafen?", wollte er wissen. "Ja, ganz gut! Das Gebet hat geholfen!" entgegnete ich.                                   
    Er wechselte das Thema: "Weißt du schon, was du heute machen willst?" Ich dachte kurz nach: "Nein, ich habe eigentlich keinen Plan!" "Wie sieht es mit Frühstücken aus? Du könntest mit Uli und mir ins Jesushaus fahren. Dort ist ein Frühstückstisch für uns Leiter aufgebaut. Das ist sicher kein Problem, wenn du noch dazukommst" schlug er vor. "Keine schlechte Idee!", stimmte ich zu und so machten wir uns wenig später zu dritt auf den Weg ins Jesus-Haus.

Gute Neuigkeiten!

Die nächsten beide Tage verbrachte ich hauptsächlich im Jesus-Haus. Nur zum Schlafen begab ich mich nachts ins Goethe-Gymnasium. Es waren zwei Tage prall gefüllt mit Erlebnissen und Begegnungen. Aber dann am Sonntagmittag endete der Kirchentag. Es lagen vier Tage hinter mir, die mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hatten. Sie teilten es von nun an in ein Vorher und ein Danach! 

Nachdem ich mich von Mike und Uli verabschiedet hatte, fuhr ich mit meinem Fahrrad nach Hause. Auf der Treppe zu meiner Wohnung wurde es mir doch noch einmal etwas mulmig. Aber dann schloss ich einfach die Wohnungstüre auf und ging hinein. Drinnen war alles ruhig und völlig normal. 
    Alles war im gewohnten Zustand und es herrschte auch keine bedrückende Atmosphäre. Langsam entspannte ich mich wieder und stellte meine Sachen auf den Boden ab. Dann legte ich mich auf das Sofa und begann zu dösen.

So mochte ich vielleicht zwei Minuten gelegen haben, als es plötzlich schellte. Ich fuhr hoch! Wer kann das denn sein?  schoss es mir durch den Kopf. Ohne noch weiter darüber nachzudenken stand ich auf und betätigte den Türsummer. Die Eingangstüre wurde aufgedrückt und jemand kam die Treppe hoch. 
    Ich öffnete die Wohnungstüre. Vor mir stand mit weißer Hose und einem kurzärmeligen lila Hemd, also in den Farben des Kirchentages, ... JÜRGEN! Er grinste mich an: "Na, was machst du denn für ein Gesicht! Hast du ein Gespenst gesehen?" Jürgen! Ihn hatte ich ja in all dem Trubel der letzten Tage vollständig vergessen. Er lebte. Gott sei Dank! Die Geister hatten also gelogen! Jetzt grinste ich auch: "Komm rein! Es gibt gute Neuigkeiten!" 



                          

Ein Nachwort


Ich habe bewusst die Geschichte mit dem Wiedersehen Jürgens enden lassen, obwohl sie natürlich noch bis heute weitergeht. Aber es schien mir richtig, hier  einen Schlusspunkt zu setzen und das glückliche Ende meiner dramatischen Geschichte zu betonen. 
    Die Ankündigung des Todes von Jürgen durch die Verwandten (Dämonen) hatte einen schwere Lebenskrise ausgelöst. Von einem Moment auf den anderen war mein Leben komplett aus den Fugen geraten und es drohte der Fall ins Bodenlose, in den Abgrund. 
    Das es soweit nicht gekommen ist, verdanke ich - aus meiner Sicht - einzig und alleine der rettenden Gnade Gottes. Als die persönliche Not groß war, griff ER völlig unerwartet ein und wendete das Blatt. Jesus reichte mir die Hand und zog mich aus den tiefen Wassern, in die ich geraten war.
      Sicher war es eine gehörige Portion Naivität und Dummheit, die mich in die Fänge des Spiritismus und der Dämonen haben geraten lassen. Was die Sache aber nicht entschuldigt. Die Bibel nennt die Befragung von „Toten“ (also Geistern) eine schwere Sünde. Und das ist in meinen Augen auch!     
     Ich habe damals mit dem Spiritismus, aber auch den esoterischen Dingen wie Tarot und Astrologie komplett gebrochen. Für mich entspringt es alles der gleichen „Quelle“, sind es „Teufelswerke“. Und das ich das Wort Teufel nicht symbolisch verstehe, dürfte jedem Leser meiner Geschichte vermutlich klar sein.                                     
     Und in diesem Sinne möchte ich auch eindringlich vor der Beschäftigung mit solchen Dingen - insbesondere natürlich dem Spiritismus - warnen. Auf das es einem nicht so ergehe wie mir oder dem „Zauberlehrling“ in Goethes Faust: „Meister hilf! Die Not ist groß. Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los.“
 
Das eigentliche Anliegen des Verfassen des vorliegenden Buches war es allerdings nicht, die Abgründe des Bösen zu beleuchten. Dies war sozusagen ein unumgänglicher und nützlicher Nebeneffekt, ohne den die Geschichte ansonsten völlig unverständlich wäre. Mein Hauptanliegen war und ist es aber, auf die rettende Gnade Gottes zu verweisen und sie herauszustellen.          
    Ich wünsche jedem Leser, dass meine Geschichte nicht spurlos an ihm/ihr vorbeigehen, und zugleiche eine Warnung (vor dem Bösen) und ein persönlicher Segen in Richtung Glauben sein möge. Amen!