Mittwoch, 25. Februar 2015

Ein Monat mit Hermann Hesse

Am Neujahrstag des Jahres 1985 begann ich mit meiner Auszeit ohne mir einen genaueren Plan gemacht zu haben. Aber es stellte sich recht schnell heraus, dass ich nicht nur herumsitzen, Kaffee oder Tee trinken und nachdenken konnte. Und so griff ich mir aus einer Hesse-Gesamtausgabe „Unterm Rad“ heraus und begann darin zu lesen.
     Nach einigen Tagen hatte sich dann so etwas wie eine Tagesstruktur herausgebildet. Vormittags las ich in einem Hessebuch, nachmittags ging ich in der näheren Umgebung spazieren und las danach weiter bis zum frühen Abend weiter. Später abends begann ich dann bei gefälliger Hintergrundmusik  nachzudenken.

Einem Einzelgänger wie mir fiel dieses „Eremitentum auf Zeit“ nicht sonderlich schwer. In gewisser Weise genoss ich es sogar, zumal sich die Hesselektüre als eine gute Wahl erwies. Es handelte sich bei seinen Romanfiguren oft um Außenseiter auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und ihrem Platz in der Welt. Was in gewisser Weise ja auch auf mich selber auch zutraf.
  
Was mir weniger gut gefiel, war das häufige Scheitern seiner Helden und die damit verbundene „Botschaft“ Hesses: „Erwarte nicht zu viel vom Leben. Sei bescheiden, beherrsche deine Wünsche und Sehnsüchte, und führe ein mehr oder weniger maßvolles, asketisches Leben! Dann wirst du vielleicht eines Tages ein einigermaßen zufriedener Mensch werden!"
   Ein asketisches Leben führen und dann bestenfalls ein wenig Zufriedenheit? Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wollte ein erfülltes, glückliches Leben leben! Mit weniger als das wollte ich mich nicht zufrieden geben. Gleichzeitig nagte aber der Zweifel an mir. Vielleicht hatte Hesse ja recht und meine Suche würde vergebens sein.
 
Vergebens? Ich fühlte einen kleinen Anflug von Angst. Ein Leben ohne Glück?  Der Gedanke war wirklich schwer zu ertragen. "Ich muss es versuchen!" sagte ich zu mir. "Selbst auf die Gefahr hin, dass ich das Glück niemals finden werde!"

Nach etwa vier Wochen beendete ich meine Auszeit. Sie hatte zwar  zu keinem verwertbaren Ergebnis geführt, aber mir klar gemacht, dass ich mich nicht mit einem normalen, langweiligen Leben zufrieden geben wollte. „Ich werde mich jetzt neu ins Leben verstricken und vielleicht kommt mir ja der Zufall zu Hilfe!“, ermutigte ich mich selbst.

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